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MAGAZIN

MODE, KULTUR und KOLLEKTIVE IDENTITÄT bei 032c

Im Jahr 2000 veröffentlicht der Journalist Joerg Koch die erste Ausgabe von 032c. Mehr als 40 Hefte später hat sich das kleine Fanzine zu einem international gefeierten Mode- und Kulturmedium gewandelt. Was als die avantgardistische Stimme eines neuen Berliner Lebensgefühls begann, steht heute weltweit für die gelungene Verbindung von zeitgenössischer Kultur, politischer Haltung und Hedonismus.

Unter der kreativen Leitung von Maria Koch produziert 032c seit 2014 auch Mode. Spätestens seitdem diese bei der Pariser Fashion Week präsentiert wird, stehen Modelabel und Magazin auf derselben Stufe. Denn Mode von 032c ist immer auch ein Statement: Künstlerische Freiheit, nachhaltige Qualität und identitätsstiftende Momente verbinden sich zu Must-haves für eine neue Generation von Modefans, für die Identifikation mit einer Marke und ihren Werten einfach dazugehört. Höchste Zeit also, die Kreativdirektorin MARIA KOCH und ihr Team in ihrem Atelier zu besuchen.

Im Berliner Westen, wo der Ku’damm breiter und prachtvoller wird, wo sich Luxusboutiquen an Versicherungen an Anwaltskanzleien reihen; wo der Mittelstreifen schmucklos, nicht mehr für Passanten gedacht ist und sich Touristenströme aufgelöst haben, zeugt die Stadt – befreit vom Kitsch blinkender Reklame – von anderen Zeiten. Hier, in einem geräumigen Atelier in der ersten Etage, arbeitet die Kreativdirektorin hinter dem Berliner Modephänomen 032c. Zwischen Foto- und Videoterminen für dieses Magazin bittet Maria Koch zum Gespräch. Sie sitzt entspannt an einem überdimensionalen roten Arbeitstisch, in einem ansonst minimalistischen Zimmer mit Blick auf den Boulevard.

Bereitet Ihnen ein Tag wie heute Spaß?
EIGENTLICH SCHON. WAS KEINEN SPASS MACHT, DA GEHT ES MIR WAHRSCHEINLICH WIE VIELEN MENSCHEN, IST DAS WARTEN. WARTEN, BIS DAS LICHT STIMMT, WARTEN, BIS DIESES ODER JENES SITZT, DAS RAUBT ENERGIE. ABER DIE GRUNDIDEE GEFÄLLT MIR.

Dazu gehört auch, dass Sie das Zentrum der Aufmerksamkeit sind.
WENN ICH DAS VORHER WEISS, IST DAS IN ORDNUNG. ES IST ABER NICHT SO, DASS ICH DAS BESONDERS TOLL FINDE. DAS IST ÄHNLICH, WIE NACH EINER SCHAU AUF DEN LAUFSTEG ZU TRETEN, AUCH DAS TUE ICH NUR, WEIL ES ERWARTET WIRD.

Sie lassen lieber Ihre Arbeit sprechen?
JA, WOBEI ICH SCHON AUCH GERN IM ZENTRUM STEHE, ABER ICH EMPFINDE DABEI KEIN GLÜCK. DAS IST EINFACH EIN TEIL MEINES BERUFS.

Eigentlich wollte sie Tierärztin werden, erzählt Koch, dafür war aber der Numerus clausus zu hoch. Da sie schon immer musisch interessiert war, wählte sie eben den Beruf der Designerin. Aber von vorne: Zunächst wächst Maria Koch in einem Akademikerhaushalt in Göttingen auf, besucht ein Internat, zieht nach Berlin, studiert Kunst, dann erst Mode. Der Kunstlehrer und die Eltern, die Mutter Altphilologin, der Vater Soziologe, entschieden ein bisschen mit. Ihr selbst fehlte der Mut, zu sagen, dass sie sich doch eigentlich für Mode interessiert. Das Verständnis davon, was Mode abseits des Glamourösen bedeutet, dass Mode für sie eine mindestens ebenso starke Bedeutung hat wie Kunst, entwickelte sie später.

Haben Sie heute noch das Gefühl, sich für Ihren Beruf rechtfertigen zu müssen?
NEIN, NICHT MEHR. ES GIBT ZUM GLÜCK LITERATUR, ETWA DIE DES PHILOSOPHEN ROLAND BARTHES, DIE MIR GEHOLFEN HAT EINZUORDNEN, WAS MODE BEDEUTET. MODE IST SPRACHE. ICH DRÜCKE MICH DAMIT AUS, ICH STELLE MICH DAR, ICH SAGE ETWAS. SEITDEM ICH DAS VERSTANDEN HABE, BIN ICH IN DIESER HINSICHT ZIEMLICH SELBSTBEWUSST.

Koch arbeitete für Labels wie Jil Sander, Joop! und Marios Schwab, lernte Joerg Koch kennen, den Gründer von 032c und später ihr Ehemann, und stieg in das Unternehmen ein. Um die Jahrtausendwende war es aus einem Fanzine entstanden, das über die Jahre zum Hochglanzmagazin wurde, dann zu einer globalen Medien- und schließlich auch zur Modemarke. 032c – das ist heute ein eigenes Universum für Mode, Kunst, Party. International beachtet und gefeiert. Und aus Berlin.

Dabei ist die Hauptstadt, international gesehen, schon länger nicht mehr der Gipfel der Coolness, auch nicht in Modekreisen. Die Stadt steht nicht für Vision. Sie ist ein Mythos. Auf der Suche nach etwas, was nicht mehr ist, kumuliert Generation für Generation ein neues, undefinierbares Vintage. Den Berliner Geist in eine gegenwärtige oder gar zukünftige Kunstform zu gießen – unmöglich. Wobei, stimmt ja nicht, siehe 032c. Die Frage ist aber: Wie geht das?
Eine einfache Antwort hat Maria Koch nicht. Sie ist sogar unsicher darüber, ob Berlin sie überhaupt inspiriert. Vielmehr biete die Stadt ihr eine Lebensgrundlage, die sich durch eine Stimmung des „Anti-Establishment“ definiert. Diese Stimmung sei den zu Mauerzeiten nach West-Berlin geflohenen Wehrdienstverweigerern und anderen Outsidern zu verdanken und halte sich bis heute:

ES HAT SICH EINE GESELLSCHAFT GEBILDET, VON DER DIE STADT BIS HEUTE LEBT. ES GIBT NACH WIE VOR RAUM FÜR FEHLER UND PLATZ FÜRS ANDERSSEIN. NATÜRLICH FINDET MAN KEINE ALTBAUWOHNUNG FÜR 250 EURO MEHR, ABER ES IST NICHT SO LANGE HER, DASS ES DAS NOCH GAB. IN ANDEREN STÄDTEN GAB ES DAS NIE.

Die für Berlin typische Gleichzeitigkeit der Nostalgien ist ein wesentlicher Teil von 032c. Die Marke hat es verstanden, die historischen Impulse der Stadt aufzunehmen und zugleich gegen den Strom zu schwimmen. Ein Spagat, der sich auch in den Biografien der beiden subkultur-affinen Kochs begründet: Bereits während ihrer Internatszeit entdeckte Maria Koch die Graffitiszene für sich, später kam Techno hinzu, bei ihrem Mann war es der Punk.

Die heutige Jugend hat diese Form der Szenen nicht mehr. Wobei es bestimmt neue Szenen gibt, die ich nicht verstehe. Joerg und ich waren in unseren jeweiligen Bereichen Ultras: Ich bin damals mit dem Zug von Göttingen nach Berlin gefahren, weil ich ein bestimmtes Paar 80er-Jahre-Seconhand-Turnschuhe haben wollte.

032c FALL/WINTER 2025

von links nach rechts:
LOOK 033, LOOK 022, LOOK 010, LOOK 027, LOOK 030

Was ist heute anders?
HEUTE WÜRDE MAN DIE SCHUHE WOHL ONLINE BESTELLEN. MAN MUSS KEINEN GROSSEN AUFWAND MEHR BETREIBEN, UM IRGENDWO DAZUZUGEHÖREN ODER ETWAS ZU ERREICHEN. DADURCH ENTWERTET SICH VIELES, DAS ALLGEMEINE TEMPO WIRD IMMER SCHNELLER UND ES VERLIERT SEINEN REIZ, SICH FÜR ETWAS WIRKLICH MÜHE ZU GEBEN. VIELLEICHT SUCHEN DIE KIDS DIESE REALNESS HEUTE IN ANDEREN PARAMETERN, ÜBER SOCIAL-MEDIA-TRENDS ZUM BEISPIEL – ICH WEISS ES NICHT. MIR SCHEINT ABER, DASS UNS GEWISSE VORSCHLÄGE, DIE WIR LIEFERN, GEGLAUBT WERDEN, AUCH WEIL WIR UNSERE BRAND NICHT AM REISSBRETT ENTWICKELT HABEN.

Im Gegenteil: Dass es heute eine Modemarke 032c gibt, ist auch den treuen Fans des Magazins zu verdanken. Jungen Leser*innen gefiel das auffällige Logo und sie bastelten sich daraus ihre eigenen Fanartikel. DIY statt Copyright. Koch griff das auf und ersetzte spätestens 2014 die Bastelarbeit der Kids. Zunächst produzierte sie nur T-Shirts, Caps und bedruckte Socken und traf mit diesem „Merch“ den Nerv der Zeit.
Zehn Jahre später entstand daraus eine vollwertige Modelinie, die seit letztem Jahr auch in Paris gezeigt wird. Vor Fachpublikum und einer prominent bestückten Front Row zeigt Maria ihre Kollektionen, für die sie unterschiedlichste kulturelle Strömungen aufgreift, jeweils ins Jetzt transformiert, und mit denen sie offensichtlich ein Bedürfnis stillt.

Mode kann sowohl für Abgrenzung als auch Zugehörigkeit sorgen. Schafft Mode Communities?
MODE IST IDENTITÄTSSTIFTEND, AUF JEDEN FALL! DESHALB KANN MAN ÜBER COMMUNITY SPRECHEN, JA. AUCH 032C HAT NICHT EINFACH NUR KUNDEN ODER FANS, SONDERN TATSÄCHLICH EINE COMMUNITY. DAZU ZÄHLT ABER NICHT UNBEDINGT DERJENIGE, DER EINFACH EINEN PULLOVER KAUFT, SONDERN EHER, WER DAS GANZE 032C-SPEKTRUM BEGLEITET.

032c FALL/WINTER 2025

von links nach rechts:
LOOK 034, LOOK 012, LOOK 042, LOOK 051, LOOK 003

Was ist das 032c-Spektrum?
DAZU GEHÖREN DAS MAGAZIN, DIE AUSSTELLUNGEN UND DIE PARTYS, DIE WIR ORGANISIEREN – UND AUCH DIE MODE. ES GEHT UM FRAGEN, WIE MAN MIT INHALTEN UMGEHT, BEZIEHUNGSWEISE WELCHE INHALTE AKTUELL RELEVANT SIND. AN DIESER SCHNITTSTELLE FINDET UNSERE COMMUNITY STATT. DAS ZUSAMMENTREFFEN VON GLEICHGESINNTEN IN DIESEM BESTIMMTEN MOMENT.

Die Marke definiert sich also nicht nur über Kleidungsstücke, sondern über ein gesamtheitliches Lebensgefühl, das Mode als Medium für gesellschaftliche Diskussionen begreift. Dabei spielt auch der Name, der eigentlich nur aus Zeichen besteht, eine Rolle. Denn die Aneinanderreihung der Zeichen ist kein Zufall. Es handelt sich um einen bestimmten Rotton im Pantone-System. Eine mit Bedeutung aufgeladene Farbe, mit der die Kochs Haltung zeigen wollen.

Im Rot äußere sich „natürlich“ auch die linke Gesinnung, so Koch. Die Farbe impliziert Emanzipation und Anti-Faschismus, aber auch Angriffslust und Gefahr:
DIE TONALITÄT HAT SICH JOERG DAMALS ÜBERLEGT UND ICH ÜBERSETZE SIE HEUTE IN UNSERE DESIGNSPRACHE.

Dass Kochs Haltung ein intrinsisches Anliegen ist, vermittelt sie glaubhaft. Sie ist keine, die etwas allein um der Aufmerksamkeit Willen sagt oder tut. Im Gegenteil. Bei lauthals geäußertem Aktivismus, insbesondere von Branchenkolleg*innen, wird sie misstrauisch:

WIR TRAGEN UNSERE HALTUNG NICHT PLAKATIV NACH DRAUSSEN, WIR MISSIONIEREN NICHT, WENN WIR ABER DANACH GEFRAGT WERDEN, SAGEN WIR DEUTLICH, WO WIR STEHEN.

Die Verbindung von Mode und intellektueller Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist steht im Zentrum aller Aktivitäten von 032c. Aber während sich der Blick von außen stets auf Trends und ästhetische Experimente richtet, sind Qualität und Ethik das eigentliche Fundament.
Mit dieser Haltung positioniert sich 032c als eine Marke, die Mode als kulturelle Sprache versteht – als Medium, das Identität stiftet und zugleich gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Zwischen internationaler Anerkennung und lokaler Verwurzelung präsentiert sich 032c als authentischer Ausdruck einer neuen Generation, für die Identifikation mit einer Marke und ihren Werten einfach dazugehört.
Und deshalb kommt man im Jahr 2025 um 032c nicht mehr herum. Was als Magazin begann, ist heute ein ganzes Modeimperium Made in Berlin. Erdacht und gemacht von Maria Koch. Dort oben am Ku’damm.

Fotos: Tobias Kruse
Text: Tobias Langley-hunt
Hair & Make-up: Marvin Glissmann