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Andrea Tognon

Klare Linienführung, puristische Formensprache und emotio­nale Zugänglichkeit: Der Mailänder ­Architekt und Designer hat die 2. Etage des Oberpollinger in eine Bühne verwandelt, auf deren Programm Modern­ität und Verspieltheit, Architektur­geschichte und Retaildesign stehen.

Wäre Andrea Tognon Belgier, man wäre versucht, ihn den Hergé der ­Architektur zu nennen. Ganz so, wie der Erfinder von Tim und Struppi­ die Literaturgattung Comic für ganze Generationen mit seiner Ligne claire, der »klaren Linie«, modernisierte, so gelingt es Tognon, den aufgeräumten Rationalismus klassischer Architektur mit einladenden Elementen von eleganter Verspieltheit anzureichern. Geschah dies zuletzt bei Monostores, wie etwa der Boutique von Jil Sander am Berliner Kurfürstendamm, wo eisig weiße Marmortische und Harzböden Kleiderstangen und Leuchten aus Kupfer und Gold in zenhafter Perfektion zur Geltung bringen, hat sich der Architekt nun mit dem Oberpollinger einer neuen Herausforderung gestellt.

»Als ich die Etage für Womenswear in ihrer Größe sah, war mein erster Gedanke: Hier muss das Design wie ein Handbuch funktionieren – als gestaltete dreidimensionale Gebrauchsanleitung für die Besucher«, erinnert sich der Architekt. Im Ergebnis der Arbeit seines Studios spiegelt sich dieser Anfang wider: Es gibt eine Art Hauptstraße für die wichtigsten Marken, Nebenstraßen für kleine, feine Brands – und all das aufgeräumt, minimalistisch und zugänglich in Ocker und Rosé, in Beton, Messing und von Licht geflutetem Kunstharz. »Was wir da geschaffen haben, würde ich Human Design nennen: eine kleine Stadt mit unterschiedlichen Nachbarschaften.«

MACHT BEREICHE ÜBERSCHAUBAR: Eingelassenes Messing in Zementfliesen

Farben wie Eissorten: Erdbeersorbet trifft auf Betonsockel … und rosafarbener Beton trifft auf Holz

Wer mit Andrea Tognon spricht, begreift schnell, warum sich der Sohn eines Möbelfabrikanten bei Marken wie Celine, Icicle oder Max Mara derartiger Beliebtheit erfreut. Dezent und beschei­den, kommt er bei jeder Antwort so schnell und genau auf den Punkt wie die von ihm entworfene Innen­architektur, bei der meist zwei Ansätze, ein puristisch-minimalis­tischer und ein emotional-verspielter, miteinander ins Verhältnis gesetzt werden. Im Oberpollinger ist dies zum einen die fast schon monolithisch wirkende Grundarchitektur der Etage, die den Stil des Rationalismus im späten Bauhaus zitiert.

Durchdachte Details, wie das in den Zementboden eingelassene Messing, die wie zufällig wirken und dennoch sehr sorgfältig gesetzt sind, erinnern an die Zeit des Expressionismus. Sie ­erfüllen zudem eine wichtige Aufgabe: Zusammen mit dem sehr bewusst eingesetzten Licht machen sie klar, wo der jeweilige Bereich endet und ein neuer beginnt. »Das, was man in einer Stadt Haupteinkaufsstraße nennen würde, sollte sofort auffindbar sein«, so Tognon.

Außerdem sollte sich die Raumarchitektur so zurücknehmen, dass sich die hier vertretenen Marken kollaborativ ergänzen, anstatt im Wettbewerb zu stehen. Daher wurde viel mit Grau gearbeitet, das wie eine Leinwand wirkt, auf der sich die unterschiedlichen Marken präsentieren. Die Säulen mit ihrer Betonstruktur, die lichtgrauen Tische und Kunstharzmodule sind das Set-­up, auf dem die Marken des Oberpollinger genauso zu Akteuren werden wie seine Besucher. Tische mit ockerfarbenen Platten und roséfarbene Stühle wirken einladend und heißen Gäste willkommen.

Farben wie Eissorten: Erdbeersorbet trifft auf Betonsockel

»Wir wollten den Besucherinnen der Etage ein Gefühl vermitteln, als befänden sie sich im Inneren eines eleganten Kaugummis«, führt Tognon weiter aus. Helle, freundliche Farbakzente entdramatisieren die klassischen Referenzen. »Schließlich geht es nicht darum, ehrfürchtig Distanz aufzubauen. Ganz im Gegenteil: Wir möchten Menschen zum Erleben einladen!« Dieser Willkommensgruß ist mehr als ein Lippenbekenntnis: Als das Studio Tognon von der Stadt Mailand eingeladen wurde, eine Installation neben dem Dom zu gestalten, entstanden Vasen, die von Passanten als Sitze in Gebrauch genommen wurden. »Für einen Designer ist es angenehm, wenn die Dinge gebraucht, lebendig werden«, so Tognon – der die Vasen seiner Stadt kurzerhand schenkte. Und wie sieht einer, der sich derart energiegeladen mit Mode im Raum beschäftigt, die zunehmende Vielfalt digitaler Angebote?

»Zukünftig wird es mehr und mehr entscheidend sein, dass Marken Orte anbieten, an ­denen man Dinge berühren, sie auf hohem Niveau sinnlich erfahren kann. Die Menschen erwarten das!« Auf »deutsche« und »italienische« Denk- und Arbeitsweise angesprochen, schüttelt Tognon lachend den Kopf: »Für mich stehen sich Norditalien und Süddeutschland ziemlich nahe. In München fühle ich mich fast schon wie zu Hause!« Mit dynamischem Strich erneuerte Hergé den Comic; präzise Konturen und monochrome Konturierungen wurden sein Markenzeichen. Ebenfalls von großer Klarheit, fokussiert und mit dem Einsatz prägnanter Farben lädt Andrea Tognon zum Erleben zeitgenössischen Einkaufens ein. Zwischen Ocker und Rosé, zwischen Bauhaus, Expressionismus und einer guten Portion italienischer Leichtigkeit.

VERSPIELTE ELEGANZ: Kunstharz, Beton und der gezielte Einsatz von Licht

Text
Ingo Kleefeld

Fotografie
Andrea Tognon Architecture